Oberschicht Spielen

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Wozu Oberschicht?

Kaum eine Gesellschaft in der Weltgeschichte hat keine Oberschicht herausgebildet. Selbst nomadische Viehzüchterkulturen oder reine Jäger und Sammlerverbände kennen oder kannten eine von den normalen überlebensnotwendigen Tätigkeiten teilweise oder gänzlich befreite Gruppe in ihrer Mitte. Seien es nun spirituelle Funktionseliten, symbolische Könige mit rein zeremoniellen Aufgaben oder entscheidungsberechtigte „Volks-„versammlungen, denen bei genauer Betrachtung nur selten alle Mitglieder der Gesellschaft angehören, wer in vergangenen oder gegenwärtigen Gesellschaften nach einer Oberschicht sucht, wird aller Wahrscheinlichkeit nach fündig werden. Ergo: Die Existenz einer Oberschicht gehört zu einem glaubwürdigen Larp-Hintergrund dazu.

Nun ist es natürlich möglich, Gruppen und einfacher noch Einzelcharaktere zu bespielen, denen man die Existenz der Oberschicht nicht anmerkt. Den heimatlichen Verhältnissen entflohene Landarbeiter, die vom Schicksal zusammengewürfelte Abenteuergruppe, der aus Gleichgestellten bestehende Bettelorden. All dies sind Beispiele für spaßversprechende und glaubwürdige Spielkonzepte, denen man die Existenz einer Oberschicht nicht anmerken muss. Um so zu spielen, sollten allerdings Heimatland und Vergangenheit dieser Charaktere möglichst ein reiner Gesprächsgegenstand bleiben und nicht zu viel Raum im eigentlichen Spiel einnehmen. Für das trigardonische Spiel ist es aber viel schöner, wenn man den Landeshintergrund bemerkt und er – im Idealfall auch für Charaktere von Aussen – Gegenstand der Handlung ist. Schließlich wollen wir ein Land bespielen.

Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, wie repräsentativ eigentlich das Spielgeschehen auf einzelnen Veranstaltungen für unseren Hintergrund ist. Sind wirklich nur 5% aller existierenden Charaktere in Trigardon adelig? Wenn ein Jahr lang nur Cons vor arbonischem Hintergrund stattfinden, ist in Flutland währenddessen nichts passiert, was einer Erwähnung wert wäre? Wenn 40 Nordmannencharaktere während einer Larp-Taverne ohne Opposition Yddland, wo die Taverne laut Hintergrund liegt, für erobert erklären, ist dann wirklich ganz Yddland erobert? Sicher nicht. Es kann durchaus mal vorkommen, dass man in Arbon die aktuellen Entwicklungenin Flutland nicht mitbekommen hat. Trotzdem wird es ein Interesse daran geben. Und Yddland ist gewiss zu groß, um selbst von 100 Kriegern erobert zu werden. Genau genommen ist ein Landeshintergrund selbst dann nicht repräsentativ darstellbar, wenn er nur aus einem einzigen Bauernhof besteht (es fehlen die Tiere) oder nur einen Clan jägerischer Nomaden umfasst (wo sind ihre Kinder, wo sind ihre Alten?). Auch ist es für uns als Rollenspieler sicher nicht das Spannendste, den täglichen Broterwerb einer halbnomadischen Gesellschaft in den Mittelpunkt unseres Spiels zu stellen. Es kann also gar nicht unser Ziel sein, den Hintergrund repräsentativ darzustellen. Vielmehr wollen wir ihn mit unserem Spiel repräsentieren. Die Darstellung unserer Oberschicht eignet sich besonders gut dafür, denn:

  • Die Oberschicht lässt die größte Freiheit bei der Charaktergestaltung, denn dort differenzieren sich die Lebensstile am meisten auf.
  • Die Oberschicht hat kulturelle Vorbildfunktion für die Gesellschaft.
  • In der Oberschicht findet die politische Meinungsbildung statt und dort entstehen auch die politischen Konflikte.
  • In der Oberschicht findet die kriegerische Mobilisierung vor allem und als erstes statt.
  • In der Oberschicht erfolgt die religiöse und philosophische Klärung der großen Lebensfragen.

Wer ist Oberschicht?

Aber wer gehört in Trigardon dieser Oberschicht eigentlich an? Welche Kriterien qualifizieren einen Charakter für die Mitgliedschaft in diesem exklusiven Clubb? Da gibt es Mehrere:

  • Höhere Bildung. Gerade so und mit Mühe Lesen zu können, mag in städtischer Umgebung (die es in Trigardon kaum gibt) noch zu den Alltagsfähigkeiten breiterer Schichten gehören. Aber flüssig zu lesen und auch noch zu schreiben, offenbart, dass da jemand viel eigene und fremde Zeit und Energie aufwänden musste, um es zu lernen. Die meisten Menschen in Landwirtschaft und Handwerk sind auch in Kindertagen zu beschäftigt dazu. Wer lesen und schreiben kann, war über einen langen Zeitraum hinweg von gewöhnlicher Arbeit befreit. Fast alle Geistlichen mit relevantem Weihegrad und alle Magiekundigen in Trigardon können lesen und schreiben. Damit gehören sie per se zur Oberschicht. Das heißt aber noch lange nicht, dass auch die ganze Oberschicht lesen und schreiben kann.
  • Außergewöhnlich gute Ahnen. Jeder Mensch, der nicht völliges Unglück bei seinen Taten hat, hat nach trigardonischer Vorstellung einigermaßen akzeptable und wohlmeinenden Ahnen. Jeder, der dem Adelsstand angehört (selbst ein Pechvogel), hat außergewöhnlich gute Ahnen, die bei Bedarf auch herbeikonstruiert werrden. Jedes Sippenoberhaupt hat die besten Ahnen, die der Sippe zur Verfügung stehen. Sie und ihre engsten Verwandten gehören also auch zur Oberschicht, selbst wenn sie nicht dem Adelsstand angehören. Wann immer jemand ein „anh“ vor dem Nachnamen führt, deutet dies auf außergewöhnlich gute Ahnen hin und der betreffende gehört dem Stand der Edlen an – Flutländer sind hier keine Ausnahme.
  • Besondere Nähe zu den Göttern. Dies trifft natürlich besonders auf die Priester zu. Aber auch Leute, denen eine prophetische Gabe, Heldentaten und magische Kräfte nachgesagt werden, können schnell in besondere Nähe zu den Göttern gerückt werden. Hohe politische Führungspersönlichkeiten sind gewiss den Göttern auch näher, als Normalsterbliche.
  • Militärische und ökonomische Potenz. In den Stammlanden bedingt das eine das andere: Pferd, Metallrüstung und gute Waffen können sich nur Wenige leisten. Berufskämpfer brauchen entweder Einkünfte aus eigenen Gütern oder eine Sippe bzw. Herrschaft, die für deren teuren Lebensstil und Statuserhalt aufkommt. Wohlhabende, z. B. Großbauern, stehen unter großem sozialen Druck, die kriegerische Gesinnung der Gesellschaft zu bedienen. Alle, deren militärischer Wert sich dem eines Berufskämpfers annähert, gehören zur Oberschicht. Daher wird wohl der Abenteurer mit Schwert und Ringpanzerhemd von Trigardonen im ersten Moment als reiche und bedingt mächtige Person angesehen werden.
  • Vertrauen einer Herrschaftsperson. Wer ein Amt bekleidet, ohne eine der anderen Qualifikationen vorweisen zu können, gehört gewiss auch zur Oberschicht. Aber wer kommt schon auf die Idee, jemanden, der nicht Schreiben kann, keine besonders guten Ahnen hat, den Göttern nicht näher ist, als jeder andere und dann noch nichtmal reich ist und/oder kämpfen kann, zu irgend was zu ernennen?


Wie spiele ich Oberschicht?

Nach diesen Kriterien gehört die Mehrheit der bespielten Charaktere der Oberschicht an. Teilweise merkt man das im Spiel trotzdem nicht. Wie lässt sich also Spiel gestalten, dass die Darstellung des gesellschaftlichen Zusammenhanges besonders hervorhebt? Welche Spielmöglichkeiten bietet es, diese Zusammenhänge in den Mittelpunkt zu stellen? Wie stellen wir sinnvoll dar, dass jemand zur Oberschicht gehört?


Gruppenspiel

  • Das Spiel von Oberschichtscharakteren ist Gruppenspiel. Einer Einzelperson merkt man ihre Stellung nicht an. Wenn niemand ihren Hintergrund kennt, ist es völlig egal, ob sie sich dazu passend verhält. Eine Gruppe dagegen kann schon mit kleinen Gesten verdeutlichen, dass sie bestimmten Regeln unterliegt, die Teil eines Gesellschaftsvertrages sind. Schon zwei SpielerInnen sind dazu in der Lage, ihren gemeinsamen Hintergrund mit Leben zu füllen, also spielrelevant zu machen. So kann zum Beispiel ein Geistlicher etwas vorlesen. Wenn aber zwei Geistliche da sind, kann der eine nur den Text halten, wärend der andere vorliest. Auf diese Weise wird auch Aussenstehenden klar, dass es sich um einen heiligen Text handelt. Die Oberschicht steht logischer Weise einer Unterschicht gegenüber. Hierarchie ist also die wichtigste Bedingung für ihre Existenz. Nur Gruppen sind dazu in der Lage, Hierarchien darzustellen. Es ist nicht unbedingt nötig, dass jedem Oberschichtscharakter auch ein Unterschichtscharakter gegenüber steht. Auch ein Ritter und ein Knappe, also eine Gruppe, die zu 100% aus Adligen besteht, kann wunderbar verdeutlichen, dass die beiden aus einem Land mit differenzierten Verhältnissen kommen. Die Darstellung eines Oberschichtscharakters ist also keine rein individuelle Angelegenheit, sondern ergibt sich immer aus dem Zusammenspiel Mehrerer.


Hintergrundwissen

  • Charaktere der Oberschicht kennen ihren Hintergrund. Natürlich sollte auch eine einfache Magt ihr soziales, kulturelles und regionales Umfeld kennen. Die betreffende Spielerin sollte wissen, dass sie nicht schreiben kann und Verstorbene in Trigardon nicht einfach so begraben werden. Wer aber einen Oberschichtscharakter spielt, braucht mehr Hintergrundwissen. Ein flutländisches Sippenoberhaupt kennt sich mit Gesetzen und Traditionen aus und findet sich in ihrem politischen System zurecht. Dazu gehört auch, die Rechte und Pflichten der Geistlichen einordnen zu können oder zu wissen, wo die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen ihrem und dem arbonischen Lebensstil sind. Für arbonische Adlige gillt das Gleiche: Sie sollten nicht nur mit den Details Arbons, sondern auch mit den flutländischen Höflichkeitsregeln vertraut genug sein, um nicht unabsichtlich (!) in Streit zu geraten. Geistliche müssen mit den Feinheiten der Religion vertraut sein. Die Namen trigardonischer Prominenz sollten von jedem Oberschichtscharakter zumindest erkannt werden. Zur Vorbereitung auf das Spiel eines Charakters aus der Oberschicht gehört es, sich sehr viel Hintergrundwissen anzulesen und im Kontakt mit anderen SpielerInnen auch das zu erfahren, was (noch) nirgendwo geschrieben steht.


Sinnvolle Selbstbeschränkung

  • Jedes Gruppenspiel erfordert eine sinnvolle Selbstbeschränkung der Einzelnen. Es gehört grundsätzlich zu jeder Gruppenaktivität, den anderen ihren Freiraum zu lassen. Wenn im Larp etwas gemeinsam dargestellt wird, sollten diese Freiräume und ihre Grenzen vorher so gut wie möglich abgesprochen werden. Gerade das Zusammenspiel von hierarchisch unterschiedlichen Rollen braucht solche Absprachen, weil sonst die Stellung von Autoritäten entweder ignoriert wird oder zu überzogenen Einschränkungen bei den SpielerInnen der Untergebenen führt. Im Allgemeinen gehört diese Überlegung in die Spielphilosophie. Wer aber Charaktere aus der Oberschicht darstellen will, sollte sich um die eigene, sinnvolle Selbstbeschränkung ein paar spezielle Gedanken machen.
    • An erster Stelle steht der Respekt. Es ist eben nicht nur eine Selbstverständlichkeit, dass MitspielerInnen Respekt verdienen. Auch für die Darstellung der Oberschicht als Konzept ist es absolut notwendig, dass sie respektiert wird. Und das gilt nicht nur für die SpielerInnen, die Knecht, Magt, Diener oder Bauer spielen. Auch die Hochfürstin hat den arbonischen Pagen, der Hochfürst den flutländischen Kriegsherren zu respektieren. Gerade weil die trigardonische Oberschicht in sich so verschieden ist, dürfen die Anführer einzelner Stände oder Regionen sich nicht auf den Standpunkt zurückziehen, nur die eigene Gruppe sei etwas Besonderes. Natürlich müssen halbelbische Adlige aus Yddland Siebenfaltige Priester nicht abgöttisch lieben, diese müssen Zauberkundige aus dem Dunkelwald nicht für die Krone der Weisheit halten und Zauberkundige aus dem Dunkelwald wiederrum werfen sicherlich keine Blumen auf ruhmreiche flutländische Kriegsherren. Aber sie alle sollten mit dem Bewusstsein spielen, dass die jeweils anderen innerhalb ihres Zusammenhanges besondere Kompetenzen besitzen, die sie von der Masse abheben.
    • Sinnvolle Selbstbeschränkung bedeutet, das Konzept der anderen mit dem eigenen Spiel zu unterstützen. Das Konzept der Zauberkundigen verdient den Aberglauben der Anderen („Hüte dich! Sie könnte Dich in eine Kröte verwandeln“ …). Das Konzept der Geistlichen verdient, dass die anderen Seelsorge brauchen („Erwürdiger Vater, ich hatte einen beunruhigenden Traum, der mich nicht mehr los lässt“). Das Konzept von Ritter, Kriegsherr und Cirkater verdient, dass die Anderen sie bejubeln oder ihren Schutz brauchen. Das Konzept der Dame (einschließlich der Ystyarson) verdient, dass die anderen ihrer wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Führung folgen („Frau Sophie Vivianes kluger Haushaltung haben wir es zu verdanken, dass wir diesen harten Winter überstanden haben. Und stell dir vor, sie hat versprochen, sich nach einer geiegneten Braut für mich umzusehen!“).
    • Sinnvolle Selbstbeschränkung kann in vielen Fällen auch zu einem Zuwachs an interessantem Spiel führen. Wenn Adlige ihre Diener vorschicken müssen, um sich anderen Adligen vorzustellen, man sich erst bei einem Priester versichern muss, dass es kein Unglück bringen wird, wenn man in dem Topf, den zuvor ein Elb berührt hat, eine Suppe kocht oder sich schlicht an einen moralischen Verhaltenskodex hält, können Bekanntschaften und Situationen entstehen, zu denen es sonst nie kommen würde. Die Möglichkeiten hierfür sind so vielfältig, dass sie in einen eigenen Artikel gehören.


Elitenbewusstsein

  • Jede Oberschicht hat ein Bewusstsein dafür, etwas Besonderes zu sein. Aus diesem Bewusstsein entspringt eine spezifische Gruppenmentalität mit ihren besonderen Ritualen und sozialen Codes. Angehörige der Kriegerelite wissen, dass ihre Metallrüstung etwas überdurchschnittlich Teures und Gutes ist. Sie sind Waffennarren und messen sich gerne im sportlichen Wettstreit. Kundige und Priester wissen, dass ihre intellektuellen Fähigkeiten im Lande einzigartig sind. Über ihr Wissen tauschen sie sich in Lesezirkeln und Konventen begeistert aus. Adlige kennen ihre politische und militärische Führungsrolle. Die höfische Kultur Trigardons muss das widerspiegeln. Die Mentalitäten und Rituale der Oberschicht sollten ihren Angehörigen genau bekannt sein. Je nach dem, welchem Stand genau ein Charakter angehört – es können auch ohne weiteres Mehrere sein – gibt es eine Fülle von Kleinigkeiten, die beachtet werden wollen. SpielerInnen von Oberschichtscharakteren sollten also nicht nur bei ihrer Ausstattung, sondern auch bei Konzept und Hintergrund viel Liebe zum Detail mitbringen.